28. – 29.07.2023
Dicke Wolken zieren den oberfränkischen Himmel, imposant in ihrer Erscheinung, aber leider mit regenerischen Vorzeichen für das Festivalwochenende. Doch wer die Sonne im Herzen hat stört sich an dem Wasser von oben nicht.
Da wir mit etwas Verspätung angekommen sind heißt es, Zelt aufbauen und direkt ab dafür.
14:10 – 15:00 Paralyzed
Pünktlich auf den Minutenschlag dröhnt schwerer Stoner Rock aus den Boxen, bringt den Boden zum Beben und uns dazu den letzten Hering in den wackelnden Untergrund zu treiben und uns in Bewegung zu setzen, hin zur Quelle der angenehmen Schallwellen.
Es bildet sich schon eine Boa am Eingang, welche nach einem freundlichen und kurzen Check durch die Security aufs Gelände entlassen wird, wo ebenfalls schon eine gut bevölkerte Bühne nebst Zappelfläche ein herzlich brummendes und dröhnendes Willkommen aussenden.
Dick wie Naturhonig wuchtet der mit gutturalem Gesang ausgestattete Stoner Rock, welcher einem die Schalter direkt in die Richtung stellt was sicherlich die kommenden zwei Tage Programm sein wird. Tief, schwer, leicht räudig und verzückend wie die Gitarristin. Zu selbiger kommen wir später noch einmal, ein High Light der Süßigkeit, welches genau an diesen Ort hier passt wie Arsch auf Gesicht. Ach schön, das ist wie Heimkommen in ein fremdes Haus.
15:20 – 16:15 Galactic Superlords
Und nun setzt auch noch der Blues ein, wie ein Brett direkt vor die Stirn. Von der Wüste in die Sümpfe, Alligatoren für Schlangen und Mangroven für Kakteen. Der Stampf bleibt bestehen, die Frau auf der Bühne wechselt allerdings von den Saiten an die Stimmbänder. Und holla, jo, die weiss schon was sie da macht. Anheizen, aufreizen, abrocken und Hotten. Gelegentlich kribbelt mir der Bauch, denn eine gewisser Manowar Appeal lässt sich nicht absprechen. Und sorry Leute, bei der Testosteron geschwängerten Version musikalischer Deformierung vollführen meine Peristaltik Muskeln eine Rückwärtsbewegung. Aber hier sind es mehr die hoppelnden Rhythmen und das stampfende Drum, also alles noch im grünen Bereich und freudig für mein Gehör und den Magen. Hier liefern sie auf jeden Fall ordentlich ab und begeistern Alt und Jung, wie man so schön sagt.
16:30 – 17:30 Temple Fang
Beim Soundcheck wird schon sehr klar, die Zeitreise geht noch weiter zurück und jetzt folgt gleich ein Klangerlebnis, welches den Doors gut zu Gemüte gestanden hätte. Flausch sphärische Klangwellen eröffnen dann auch den Reigen. Wie ein Gummiseil, das von zwei Elefanten in die Länge gezogen wird, steigert sich der Sound in psychedelische Höhen, die aus den Elefanten haarige Mammuts im Himalaya der letzten Eiszeit macht. Wie ein an der Eichel verzögerter Höhepunkt lässt sich hier auch nicht wirklich fest machen, wann das eine Spiel endet und das nächste beginnt. Also ergebe ich mich ganz dem schweren Sound und lasse mich treiben durch dieses tonale Dickicht aus 70er Stoner und seiner innenwohnenden Spiritualität, denn in meinem Kopf schwebe ich in anderen Sphären der Existenz. Hut ab, Herz an und ab dafür.
17:50 – 18:50 Sasquatch
Life of Agony Riffs mit laid back Schlagzeug, so gebahnt sich der nordamerikanische Bigfoot. Und er tritt mächtig Arsch. Kyuss und Konsorten lassen grüßen. Mit dem blubbernden Wummern eines V8, der über eine staubige Wüstenstraße fegt und eine meilenlange Staubwolke hinter sich her zieht. Die Herren, welche gerade direkt aus einem 40 Tonner ausgestiegen, über die Toilette den Weg in einen Diner gefunden zu haben scheinen, Holzfällerhemden, Cap inklusive, wissen sehr genau in welchem Gang sie ihre Maschine durch die Gegend jagen müssen. Und holla die Waldfee, die Maschine ist geil getuned, also auf allen Ebenen. Stramm wird das Set durchgezockt, ohne Ansagen, pure Energie. Prosit.
19:10 – 20:10 Slomosa
Wir bleiben inhaltlich und musikalisch in der selben Marschrichtung. Steife Snare Schläge nehmen einen an die Hand und geleiten uns durch eine triste Landschaft voll abgestorbener und ausgetrockneter Pflanzen und Staub. Passend zum Kamel im Logo erklimmt der Stoner Rock die höchsten Höhen und tiefsten Bass Täler dieser Welt. Die Norweger wissen definitiv zu begeistern. OK, wir sprechen hier von einem mit mind 1500 Leuten bevölkertem Sportplatz voller bärtiger Stoner und Doom Party People, welche dank Bier, Wein und grundsätzlich guter Allgemeinstimmung eh voll Abhotten.
Alle Helfer hier vor Ort machen die ganze Sache ehrenamtlich, rein weil sie Bock auf dieses Festival haben. Diese positive Grundstimmung überträgt sich in jede Ecke. Und so passen die Slomosas perfekt, rocken ordentlich ab, treiben mich durch karge Landschaften voll Bier und Kiffe. Was will man mehr an so einem Abend.
21:00 – 21:50 The Vintage Caravan
Noch nie live gesehen, aber heiß erwartet. Mein erster Kontakt mit TVC war durch ein Video in einer YouTube Playlist. Da waren die Jungs wohl noch so 14 jahre alt, haben aber gerockt wie 60 jährige Haudegen aus dem englischen Hinterland. Nun gut, sie sind aus Island und 14 sind sie auch nicht mehr. Aber fucking Hell, rocken tun sie umso mehr. Die Snare treibt voran und mit einer dominant rockigen Schlagseite wummert der träge, schaurig schwere Old School Sound aus der PA. Hängt sich der klare und ebenso enge, wie das Kostüm des Söngers, anliegende Poser Gesang an die einzigartige kopflastige Stimme des jungen Inselbewohners. Heavy as Shit breschen die Jungs wie ein Wildschwein durch das Gestrüpp. Wilde Pferde jagen durch ein Dickicht, hin zu den Gestaden des AC/DC und Black Sabbath, den dunkelen Gefilden des Heavy Rock der 70er. Weit bevor die Zelebratoren selbigens hier auch nur ansatzweise Suppe in ihres väterlichen Schritts waren. Bravourös und gigantisch wie die Landschaften der kleinen Insel in der nördlichen Hemisphäre ist was hier geboten wird, so neigt man gern im Takt sein Haupt um mittels Gruppendynamik eine heftige Luftzirkulation zu erzeugen, welche die Kraft besitzt einen Tornado in die Welt zu entlassen.
22:10 – 23:10 Dozer
Wie ein Befreiungsschlag fetzt da der Soundcheck von Dozer in das Gelände. Gitarrenwände werden hochgezogen, kein Rigips, harter Backstein mit einem extra flauschigem Kern. Reudiger Stoner Rock, Solo lastig, groovy as Fuck und verspult bis Oben hin. In den Wirren der Pickings lassen die Jungs ein Set vom Stapel, welches drei Jahrzehnte Musikgeschichte abdeckt. Zumindest was den Rock ´n Roll betrifft. Von Blues bis Stoner, alles gebunden in einer Melange aus quietschendem Wummern und groove Wänden dass einem die Knie nur so den bewusst angetriebenen Dienst verweigern und sich im Takt des Sounds hingeben. Fettes Brett, als sollte es einen Dickhäuter tragen müssen.
23:45 – 01:00 Slift
Monoton stampfend beschreitet die finale Kapelle des ersten Tages die Planken des Entertainment. Die Vorlagen waren schon sehr genial, also bin ich gespannt wie der Rausschmeißer sich hier schlägt. Und ja, audio & visuell wird hier ein psychedelisches Feuerwerk abgefackelt, das eine Strahlkraft wie eine zweite Sonne hat. Schwer und breit sind die Klangwellen, die auf das Auditorum zurollen, kalt wie Eis die Eruptionen purer Emotionalität. Massiv brodelnde Soundwellen brechen sich an stumpf flächigen groove Wänden. Ein Riff der puren Kraft eines Tsunami, welcher über eine ebene Landschaft rauscht, soundtechnisch materialisiert in einem Gewand aus Nirvana meets Fu Manchu und durch Synthy einschübe gefärbtes Amon Düül Geballer. Direkt, fast schon Hardcore, schräg, punkig eingefärbt, Avantgarde, Refused ist ein grober Teil, eine „The“ Band, skandinavisch, oder doch Brit Pop. Hier darf man sich nicht festlegen, warum auch. Die Mischung ist es, die Mischung aus Leidenschaft, Hingabe, Aufgabe, Opferung und Anpreisung. Sucht und Abhängigkeit in beiderlei schönster Form, Musik die aus dem Herz über die Hände in Herzen greift. Improvisierte Soloparts wechseln mit schrägen Grooves, erst kriechen, dann schleichen, dann sprinten, zuletzt kletternd, hoch bis an die Baumgrenze, höher, kratzt man an den Wolken jenseits der Erdmasse. Keine Luft mehr, die Schwerkraft schwindet mit dem Quadrat der Entfernung, weit, weit ab von allen Dingen die einen halten, binden, fesseln. Freier Geist in freiem Raum. Kathartisch in sich zusammenbrechend um wie Phönix aus der Asche zu erwachsen wabert hier Song in Song zu einem Gesamten das mehr ist als nur Töne in Reihe ist.
Wuha, nun bin ich doch mehr als nur etwas überspult. Die Frage wie der Abend ausklingen sollte, ob Fisch oder Fleisch, Partyzelt oder Parkplatzzelt, beantworte ich mir selbst mit Parkplatz. Eine Eskalation wäre ansonsten nicht zu vermeiden und man hat ja noch eine Aufgabe zu erfüllen. Also, ab in die eigenen runden synthetik textil Wände und mit einer Runde Bethlehem in die angenehmen Träume eines brummig wuchtigen Tages entgleiten.
13:45 – 14:30 King Father Baboon
Mit einer vollen Blues Kante startet der zweite Tag beim RiW´23. Auch die Sonne zeigt nun ihr strahlendes Gesicht, wohl vor Freude darüber dass nun wieder drückende Bässe, treibende Drums und verspielte Gitarren zur Erheiterung aller die PA verlassen.
So wackelt es vor der Bühne, gammelt Mann und Frau auf der Wiese herum oder steht am Bierstand. Wenn die Flüssigkeit schon mal nicht vom Himmel kommt muß man halt selbst von innen Wässern. So, leicht bedudelt, treibt man dann zu den durchaus komplexen, stellenweise jazzigen Blues Rock Nummern. Mal zärtlich, dann druckvoll, immer ganz auf Spannung. Grad in den ruhigen Passagen ist es fast unerträglich, man wartet und wartet auf den nächsten Ausbruch, doch die Herren verstehen es formidabel die Spannungsbögen bis zum Schmerz auszukosten. Sehr geiler Einstieg in den Tag.
Und hier sollte mir auch wieder klar vor Augen geführt werden, dass das RiW einfach was Spezielles ist. Kommt so ein Kerlchen angezuppelt, leicht schwankend mit einem breiten Grinsen.
„Hey, ich bin da Urban. Du schreibst hier doch so einen Bericht über das Festival, oder? Ich hab da was für dich.“
Blups, isser wieder weg und kommt fünf Minuten später mit einer holden jungen Maid an der Hand wieder angehoppelt.
„Da schau mal. Das ist die Gitarristin der ersten Band von gestern. Bring die mal in den Bericht mit rein.“
Ay Käptn, weil zu dem Mitbegründer des Festivals sagt man nicht Nein. Denn der gute Urban ist das Geburtstagskind dem das RiW zu Ehren mal entstanden ist, vor 30 Jahren.
Und überhaupt, da steht so eine junge hübsche Frau vor einem, leicht aufgeregt und total glücklich, was soll man da schon machen, ich bin ja auch nur ein Kerl der auf Mucke, Frauen und gute Stimmung steht. Also verbringe ich ein paar nette Minuten mit diesem ansehnlichen Überraschungsei, denn vom Süssigkeitsgrad her kann sie mehr als nur mithalten, selbst ein Nutellaglas würde neben ihr kalorienarm wirken.
Cata wird sie genannt. Seit 10 Jahren selbst ein treuer Gast des RiW. Und dieses Jahr durfte sie mit ihrer Kapelle Paralyzed den Reigen auch noch eröffnen. Die haben auch mal heftigst fett abgeliefert. Eine Band die sich über Anzeigen, als Straßenaufriß und beim Feiern gefunden hat kann ja nur einen wilden Mix abliefern, dabei aber so sympathisch. Hier steht sie nun neben mir, die Saitenschrubberin die mir gestern schon aufgefallen ist, strahlend wie ein Honigkuchenpferd mit Glasur. Sie hat auch jeden Grund dafür. Als kleines Mädel noch als Gast mit aufs Festival genommen worden, darf sie hier nun auf der Bühne den alten Herren voll in Arsch treten, wie Geil ist das denn. Genau dies sind die Geschichten die es hier ausmacht. So ein nettes, familiäres und herzliches Rockfest wird man so schnell auch nicht wieder finden. Die Cata steht dieses Jahr stellvertretend für alle die versuchen ihr Ding zu machen in meinem Herzen. Also Paralyzed, weiter so, mit dieser Frau im Gepäck steht euch noch einiges bevor und wir sehen uns sicherlich wieder, gern auch wenn 10tausend oder mehr Menschen euch feiern. Verdient habt ihr es sicherlich.
14:50 – 15:40 The Pighounds
White Stripes auf Testosteron, da geht was, aber hallo. Ich finds ja immer wieder geil, wie Zweier Kombos abrocken können. Doch auch ruhige Noten können die Beiden, die einfach so gut harmonieren, wie ein sauber eingestellter Zweitakter ackern sie sich voran. Klatschen sie uns einen vor den Latz, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich lass mich dann auch mal etwas treiben und mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Ohren und Hirn weit offen, die Augen geschlossen.
16:10 – 17:00 Bokassa
Volles Brett Rock ´n Roll fetzt über das Gelände, bringt den Boden und die Buden zum beben. Bis dato die rotzigste Kapelle auf dem RiW´23. Der passende Weckruf um auch die letzten Zombies aus ihren Lagerplätzen zu locken. Motörhead mäßig schrubben sich die Herren durch ein Up Tempo Set. Und es wird ihnen abgehenderweise gedankt mit einem Mosh Pit und keinem sichtbaren Stück grünen Bodens, von der Bühne bis zum FOH. Dann packen sie auch noch ne feine Schippe Hardcore mit drauf. Das ist schon ein feiner Sound, der ordentlich Bewegung in die Beine und Hüften bringt.
17:30- 18:20 Green Lung
Mit schrägem Mittelalter Intro vor passendem Teufelsreigen Backdrop würde man zwar eher mit Sackpfeifen ausgestattete Fellträger und Horntrinker erwarten. Bekommen tun wir aber bluesigen Stoner Doom der Black Sabbath Schule. Schwer wie ein Eselkarren, beladen mit Steinen für den Bau eines neuen Stonehenge oder eine Burg, holpern sie über die britischen Feld- und Waldwege. Immer die Augen offen für die nächste Hexe für das abendliche Lagerfeuer. Fast erwartet man einen kleinen Drachen der sich auf der Bühnenüberdachung niederlässt um die Show abzurunden. Das ist so klassisch englischer Okkult Rock wie man ihn sich nur wünschen kann und der einem das Herz erwärmt, zärtlich die Haare streichelt während er von hinden den Ritualdolch in den Körper treibt. Alle dunklen Seelen der Insel wären jetzt stolz auf das hier gezeigte, ja selbst Beelzebub würde hier gerade ausgelassen mit auf den Boden stampfen und den Tanzhuf schwingen. Hier tut es jedenfalls jeder auf dem Gelände damit der Gehörnte in seiner Kellerwohnung seinen Teil von abbekommt, wenn es schon zu seiner Ehre ist.
19:10 – 20:00 Greenleaf
Raus aus der Kutsche mit 2-4 PS, wieder rein in den 400 PS V8.
Ohne langes Fackeln treten die Herren direkt den Kickdown und brettern los. Im Midtempo, nicht zu rasch, aber dafür mächtig wie eine Dampfwalze. Wer wilde Experimente erwartet oder irgendwas Schräges, der soll sich die Erwartung für später aufheben. Hier wird geraderaus und ohne Schnörksel gerockt. Old School, bluesig groovy. Mehr gibt es eigentlich auch nicht anzumerken. Der Sänger is voll wie eine Haubitze, geht total in seiner Mucke auf, Dirigiert jeden Einzelnen vor der Bühne durch die Songs, taumelt, fällt, fühlt in jeder Faser den Sound, lässt sich davon wieder nach oben tragen, treibt an, driftet ab. Ich schliess mich an, drifte ab. Es schreibt sich schwer, wenn der gesamte Körper unter Fremdkontrolle steht.
20:30 – 21:30 Brutus
Zum Soundcheck wandert das Schlagzeug an den rechten Bühnenrand, der Bass in die Mitte und zudem die erste Trommlerin des Festivals auf den Hocker der den Takt angibt. Zu der in Blau ausgeleuchteten Bühne werden sphärische synthie Klänge gemischt, auf- und absteigend wie träge Wellen im hohen Ozean. Tschack, vier Schläge einzählen mit den Sticks und los geht’s mit der Rock Show. Durch den kleinen poppigen Einschlag, in etwa wie wenn die Foo Fighters von Kyuss misbraucht würden, geht das Songmaterial gut in die Ohren, hat genug Struktur um zu wissen was als Nächstes kommt, überrascht dann umso mehr wenn dann doch eine wilde und ungezügelte Hardcore Kante zuschlägt um sich an einer Soundwand zu brechen, daran zu zerfließen, sich wieder zu sammeln, verschmelzend und Punk-Pop-Rockig losrotzend. Wirklich eine bunte Mischung die die Dame nebst den beiden Herren hier abliefern. Echt fett, aber gleichzeitig auch feingliedrig und filigran wie ein Geflecht in der Natur. Heftig und wie ein Schlag in die Magengrube, gleichzeitig aber zärtlich und liebkosend. Manisch depressiver happy Stoner Prog Rock, mein Siegel für alle die Musik mit Siegeln versehen wollen. Am besten mal selbst er-leben, denn es ist ein sehr genussvolles -nis.
22:00 – 23:00 Smoke Blow
Passend zum Klang der ersten Töne bricht die Dunkelheit vollends über dem Platz herein und Nebelschwaden verteilen sich. Von der Rot eingeleuchteten Bühne schraubt sich eine Rückkopplung direkt vom Amp durchs Gehör ins Rückenmark. Der omnipräsente Bass und das schnalzend pumpende Drum treiben das Volk im Grün voran, wild springend und zappelnd. Wär da nicht diese ungezügelte Härte, wir könnten auch auf einem gediegenen Rockabilly Stelldichein abschwofen. Hymnenhaftig schmalziger Gossen Garage Rock mit ganz viel Wut im Bauch, die auf direktestem Weg ans Freie entlassen wird. In ordentlich fetzigen hoppel Beats wird von Abrissbirne zu Dampfwalze gewechselt. Die beiden Brüllwurfel schmeißen sich die Zeilen um die Ohren und da der Mitgröhlfaktor sehr hoch ist, brüllen weit mehr als nur eine Handvoll inbrünstig mit.
Mit getragenen Melodien aus Lava gegossen, bringen sie die Regenwürmer und Maulwürfe, ja selbst die Milben und Pantoffeltierchen im Boden um den Schlaf. Das Tempo ist auf Dauervollgas eingerastet, die Bremsleitung vorsorglich ausgebaut und der Motor gut geschmiert. Einer Mad Maxischen Verfolgungsjagd gleich werden keine Gefangenen genommen. Wer nicht aus dem Weg geht wird Platt gemacht, angekettet und mitgeschleift über Sand, Schotter und brennend heißen Teer. Von dem vorbeipreschendem Wagen werden die trockenen Wüstengewächse entzündet. Entzündet wie der Platz hier, welcher voll in Flammen steht. Und was mir auch dieses Jahr wieder auffällt, keine Mobiltelefone. Oder zumindest so rar gesät das es in Ordnung geht, zeigt sich in der Luft. Hier wird wirklich noch der Moment gelebt, geliebt und gefeiert.
Und daneben wird die Bühne, quietschend und brummend wie begonnen auch wieder verlassen. Was für eine wilde Party, alte Scheißhausfliege, das ging heftig ab.
23:30 – 01:00 Russian Circles
Die Russen ziehen nun auch hier ihre Kreise, zum Glück und Gegensatz zu der dystopischen Realität des echten Lebens außerhalb der Festival Welt, in einem positiven Sinn.
Spaciger Stoner Doom der sich den Einsatz eines Sängers gänzlich spart, muß das Loch durch irgendwas stopfen, was hier vorzüglich gelingt. Rituell angehauchte Passagen tragen einen in die oberen Bereiche der Atmosphäre und geben den Blick ungetrübt frei, hinaus in die Weite des All. Kometen ziehen vorbei, Asteroiden kollidieren in der Ortschen Wolke. Sonnensysteme durchdringen, Galaxien vereinigen sich in einem wilden Tanz aus Planeten und Sternen, schwarze Löcher treiben im Raum, brechen das Licht und saugen unermüdlich bis in die Ewigkeit Sonnen in sich auf. Senden Energiestrahlen hinaus ins Dunkel, Stille, Stille, Rauschen und Flirren, Stille. Sowas von auf den Punkt aber auch, da sitzt jeder Schlag, jedes Quietschen, Pfeifen, Rückkoppeln und Wummern. Vielschichtige Soundwellen wabern ins Gehölz. Aus drei Musikern kommt ein Orchester der Apokalypse. Nur um aus jedem Zerfall in wildem Leben neu zu entstehen. Licht, Sound, Menschen und Grund gehen eine Einheit ein. Miteinander verbunden schlägt alles einen sich steigernden Takt. Massiv, gigantisch baut sich eine Wand auf, die Oberkante hoch über den Wolken. Ein Windstoß hebt einen Hoch, nutzt den Aufwind wie ein Blatt, wird an dem harten Gestein entlang getragen, sanft aber bestimmt, bis ganz Oben angekommen die überwältigende Aussicht einen umschließt, fast schon schmerzhaft die Kleinheit der eigenen Existenz im Vergleich zu dem großem Ganzen vor Augen führt. Und dann kommt eine wilde Böh und fegt einen wieder hinunter. So tief, dass der wilde Sturz in ein Gleiten übergeht, die Schwerkraft ihren Dienst einstellt und es geht wieder hinaus in die Weiten des Universums. Ungezügelte Freiheit, unbegrenzte Gedanken im Einklang mit der Natur, Musik, Existenz und einfach Allem.
Welch besseren Abschluss könnte man sich hier wünsche. Ein helles Licht der Hoffnung auf dass, was noch kommen mag im Gewand einer unaufhaltbaren Energie aus allem was Verrotten nach sich zieht. Dualitäten sind es die Zukunft bringen. Hier treffen sie immer wieder aufeinander, Liebe und Hass, Leid und Hoffnung, Vergehen und Entstehen, beim Rock im Wald findet alles seinen Kern in einer harmonisierenden Melange. Eingepackt mit gaaaanz viel Herz und Hingabe.
Text: Jochen Dollinger
Fotos: Lars Oeschey
Akkreditierung: German Rock e.V.